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Welt:Stadt:Gezwitscher

Evaluation der Projekte Healing Classrooms und BuildUp
Drei Fragen an Dr. Sebastian Niedlich

Dr. Sebastian Niedlich; (c) privat

Das International Rescue Committee (IRC) Deutschland hat den im globalen Kontext entwickelten Ansatz ‚Healing Classrooms‘ für Deutschland adaptiert und in ein Fortbildungsformat für pädagogische Fachkräfte überführt. Dieses wird derzeit im Rahmen der Projekte Healing Classrooms und BuildUp umgesetzt; eine Fortsetzung in Folgeprojekten ist geplant. In die Konzeption fließen wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Erfahrungen aus vielen Ländern ein, in denen Menschen mit Fluchterfahrung leben.

IRC ist in Deutschland als einem wichtigen europäischen Aufnahmeland tätig. Es hat das Institut Welt:Stadt:Quartier mit der Evaluation der beiden Projekte beauftragt. Im Interview mit Welt:Stadt:Gezwitscher erläutert Dr. Sebastian Niedlich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der FU Berlin und Mitglied des WSQ-Evaluationsteams, die Zielsetzung und Herangehensweise der Evaluation.

Was sind die wesentlichen Ziele der Projekte ‚Healing Classrooms‘ und ‚BuildUp‘?

Die beiden Projekte zielen letztlich darauf, geflüchtete Kinder und Jugendliche, die nun in Deutschland zur Schule gehen, zu unterstützen. Vor allem geht es darum, die Folgen von Traumatisierungen, Leid und Stress zu mindern und damit dazu beizutragen, dass die Kinder und Jugendlichen am Schulunterricht teilnehmen und einen Schul- oder Berufsabschluss erlangen.

Unmittelbare Adressat*innen der Projekte sind pädagogische Fachkräfte. In Fortbildungsreihen werden den Fachkräften Ansatzpunkte vermittelt, um eine sichere und unterstützende Lernumgebung zu schaffen, sozial-emotionales Lernen zu fördern und Schüler*innen dabei zu helfen, sich zu entspannen und zu konzentrieren. Außerdem erhalten die Fachkräfte Unterstützung bei der eigenen Stressbewältigung.

Das Interessante an den Projekten ist die starke Praxisorientierung. Zwar gibt es auch theoretische Inhalte, im Vordergrund steht aber die konkrete Anwendung im Unterricht bzw. im pädagogischen Alltag. Dazu entwickeln die Teilnehmenden u.a. eigene Entwicklungsvorhaben und planen deren Umsetzung. 

Wie seid ihr im Welt-Stadt-Quartier-Team die Evaluation der Projekte angegangen?

Die Evaluation sollte die Relevanz, die Effektivität sowie die Nachhaltigkeit und Transferperspektiven der Projekte untersuchen.

Bei der Relevanz ging es um die Frage, inwieweit die Projekte einen gesellschaftlichen Handlungsbedarf adressieren und inwieweit dieser auch von den Fachkräften selbst wahrgenommen wird. Um dieser Frage nachzugehen, haben wir Fachliteratur zum Themenbereich ausgewertet und qualitative Interviews mit Fachkräften sowie mit Akteuren auf Landes- und kommunaler Ebene geführt.

Bei der Effektivität geht es um die Frage, inwieweit die Projekte wirksam sind. Wir hatten nicht die Möglichkeit, die Entwicklung der Schüler*innen umfassend zu untersuchen. Das wäre aber auch nicht der richtige Ansatz gewesen. Denn zum einen sind die Handlungsansätze, die die Projekte vermitteln, schon gut erprobt, sodass es nicht vorrangig darum ging, ob diese überhaupt wirksam sind. Zum anderen setzen die Projekte bei den Fachkräften an. Um herauszufinden, ob sich im pädagogischen Alltag etwas verändert, muss also zunächst betrachtet werden, wie die Fachkräfte die Projekte erlebt und inwieweit sie sich die vermittelten Inhalte zu eigen gemacht und in ihre Praxis überführt haben.

Als Ausgangspunkt der Untersuchung haben wir Projektdokumente und Fachliteratur ausgewertet, um die zugrunde liegenden Annahmen über Ursachen und Wirkungszusammenhänge herauszuarbeiten. Diese „Wirkungslogik“ haben wir überprüft, indem wir nachvollzogen haben, inwieweit die als erforderlich angesehenen Entwicklungsschritte erfolgt sind. Dazu dienten neben den Einschätzungen von Fachkräften und anderen Akteuren aus den genannten qualitativen Interviews zwei weitere Schritte: die teilnehmende Beobachtung von zwei Workshops für Fachkräfte sowie die Auswertung von über 1.000 Feedbackbögen, die Teilnehmer*innen von Fortbildungsworkshops ausgefüllt haben. Insgesamt haben wir somit zwar keine ‚harte‘ Wirkungsmessung vorgenommen, dennoch aber eine vielfältige Perspektive sowie die Möglichkeit erhalten, die Verallgemeinerbarkeit unserer Befunde einzuschätzen.

Bei Nachhaltigkeit und Transfer ging es darum, die Chancen und Voraussetzungen für eine dauerhafte Verankerung einzuschätzen. Dabei waren zwei Fragen von Interesse: 1. Wie können dauerhafte Impulse in der pädagogischen Praxis gesetzt werden? 2. Wie können die Projektansätze strukturell eingebettet werden, um möglichst viele Fachkräfte bzw. Schulen zu erreichen? Grundlage für unsere Einschätzungen waren auch hier eine Literaturauswertung sowie die Interviews mit Fachkräften und weiteren Akteuren.

Was wird mit den Ergebnissen passieren?

Wir haben bei der Evaluation großen Wert darauf gelegt, Perspektiven für die Weiterentwicklung der Projekte zu entfalten. Zu unserem Vorgehen gehörte daher schließlich der regelmäßige Austausch mit dem IRC in Workshops und anderen Formaten.

Der Abschlussbericht wird nun zum einen dem Fördermittelgeber übermittelt. Zum anderen werden verschiedene Veranstaltung mit Projektbeteiligten, Teilnehmenden sowie Landes- und kommunalen Akteuren durchgeführt, bei denen die Evaluationsergebnisse vorgestellt und praktische Konsequenzen erörtert werden.

IRC plant, die Projektansätze fortzuführen. Wir sind zuversichtlich, dass die Ergebnisse der Evaluation dabei einfließen werden.

Vielen Dank für das Gespräch!