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„Folge einer unzulänglichen Integrationspolitik“: Ein Kommentar zum „Pisa-Schock“ von WSQ-Vorstandsvorsiztendem Peter Bleckmann

Von der Peripherie ins Zentrum: Meine 5 Cent zu den PISA-Ergebnissen

Die heute häufig geteilten drei Kurven korrespondieren mit meiner Stimmung mit Blick auf die Entwicklungen im
Bildungsbereich: Die Aufbruchstimmung und die realen Erfolge in den ersten Jahren nach dem PISA-Schock der 2000er Jahre und die Ernüchterung, ja die Frustration in den 2010er und 2020er Jahren über zu langsame Reformschritte. Dass die Entwicklung in allen OECD-Ländern einer ähnlichen Trendlinie folgt, kann kein Trost sein, COVID keine Erklärung.

Was also tun? Hier meine 5 cent.

1) Bildung als Integrationsmotor: Gute Lösungen von der Peripherie ins Zentrum holen

Die schlechten Ergebnisse in Deutschland sind Folge einer unzulänglichen Integrationspolitik. Das bezieht sich auf die gesamte Thematik ‚Einwanderung‘, – und gleichermaßen auch auf die gesellschaftliche Integration von Menschen in Armutslagen, aber auch von Menschen mit Behinderungen. Ein vielfältiges Land wie Deutschland braucht in allen Bildungsorten die Kompetenz, mit Diversität und Vielfalt umzugehen. Diese Kompetenz ist vorhanden; ich denke an NGOs, die sich in diesem Feld umtun, wie zum Beispiel die SchlaU-Werkstatt oder das International Rescue Committee, die wir in Evaluationen näher kennenlernen konnten. Ich
denke auch an ein Bundesprogramm Sprach-Kitas, das ausgebremst wurde, bevor der eigentlich anstehende Schritt – der Transfer in die Breite des Systems – gelang.

Aber wir reden über kleine Projekte engagierter Menschen. Was wir brauchen, ist eine Veränderung in der Breite. Dass die guten Lösungen noch nicht die Anerkennung in der Breite erfahren, die sie verdienen, ist ein wesentlicher Grund für die Ergebnisse, die wir haben.

2) Frühe Bildung: Zugänge verbessern

Wir haben für das International Rescue Committee untersucht, welche Barrieren für Familien mit Fluchtgeschichte beim Zugang zum System der frühen Bildung bestehen. Die Ergebnisse sind verheerend: in einem System, das von Mangel geprägt ist, finden ausgerechnet die Kinder und Familien keinen Platz, die am allermeisten davon profitieren würden. Wäre es anders, wären die Ergebnisse besser.

Auch zu dieser Thematik konnten wir bei der Analyse der ‚Lokalen Bündnisse für frühe Bildung‘ im Deutschen Kita-Preis viele gute
Beispiele kennenlernen: Die Stadt der Kinder in Monheim; armutssensible Kita-Arbeit in Gelsenkirchen; die Zentren für frühe Hilfen des Kinderschutzbunds Frankfurt. Aber dies sind die leuchtenden Ausnahmen, nicht die Regel.

Eine zugängliche frühe Bildung könnte schon früh helfen, die Schere zu schließen; aktuell ist aber noch das Gegenteil der Fall: die am stärksten bildungsorientierten Familien nutzen auch das System der frühen Bildung am stärksten. Da das schon seit ein paar Jahren so ist, sieht man es heute auch an PISA.

3) Lokale Strategien entwickeln – nicht nur Geld in Schulen

Dass PISA so ausfällt, wie es ausfällt, liegt auch daran, dass Schulen isoliert mit Erwartungen überfrachtet werden, die sie gar nicht allein erfüllten können. Ja, ich finde auch das Startchancen-Programm eine gute Idee; möge es bald an den Start gehen! Aber dieses Programm braucht eine starke lokale Verankerung. Es reicht nicht, nur die Schulen in den Fokus zu rücken. Man muss verstehen, dass viele zusammenkommen müssen, damit die Regionen, die es am meisten brauchen, gestärkt werden, und in diesem Zusammenhang auch die Bildungseinrichtungen einen positiven Beitrag leisten können.

Die Bildungsproblematik zeigt sich nicht an allen Orten der Republik in gleicher Weise, sondern an einigen Orten besonders. Es sind die problembelasteten städtischen Quartiere und peripheren ländlichen Räume; hier verbindet sich eine soziale Misere mit einer Bildungsmisere. Umgekehrt scheint in den wohlhabendsten Regionen auch die Bildungswelt noch in Ordnung zu sein Lösungsansätze müssen daher bestimmte Regionen besonders in den Blick nehmen und eine übergreifende Strategie für sozialen Aufstieg der Menschen und der Sozialräume entwickeln. Dazu können Bildungseinrichtungen aktiv beitragen – und gleichzeitig profitieren sie von einem stabilen, sie stärkenden und manchmal auch entlastenden Umfeld. Dass dazu auch Wohnungsunternehmen gehören können, haben wir neulich in einer Studie für den vhw herausgestellt.

4) Anerkennung als Haltung

Bei der Al-Farabi Musikakademie lernen wir: Begegnung passiert nicht von allein. Schon gar nicht, wenn Organisationen glauben, sie müssten nur ein Angebot machen, und alles ist gut. Es braucht Orte der Begegnung zwischen Kulturen, aber auch schichtübergreifend: zum einen, um besseres Verständnis füreinander zu schaffen, zum anderen, um den Horizont zu erweitern und Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung kennenzulernen, die im unmittelbaren Umfeld fehlen.

Dafür müssen wir gemeinsam für eine gesellschaftliche Haltung einstehen, die auf gegenseitiger Anerkennung basiert. Keine Anerkennung natürlich für menschenfeindliche Positionen; aber davon abgesehen braucht es Anerkennung von unterschiedlichen Lebenswelten und Sichtweisen. Fehlende Anerkennung schwächt Selbstwirksamkeitserwartung – genau die brauchen Menschen aber, wenn sie ihre Neugier und Lust auf Bildung erhalten und voll ausleben wollen.

5) Mehr Leben in die Schule

Weniger Stoff, mehr verstehen – das ist das Mantra von Andreas Schleicher, und dem kann man nur zustimmen: Mehr aktives Mitmachen, mehr Auseinandersetzung mit der Welt, weniger Zettel, weniger Stoff, weniger Prüfungslernen. Mehr Projekte, mehr Forschung, mehr Lebenslern!